Tages Anzeiger, 11. September 2003

Text: Andrea Schafroth
Bilder: Beatrice Devènes
© Tages-Anzeiger; 2003-09-11; Seite 60

 

Wenn der Chef die Socken wäscht

Männer, die ihrer Familie wegen Teilzeit arbeiten, sind rar. Aber der Wunsch, Geschäft und auch Wickeltisch zu managen, wird häufiger, und viele Unternehmen begrüssen ihn. Theoretisch.

Es ist Montagmorgen, Beat Strasser steht als Erster auf und bereitet das Frühstück für die Familie zu. Gegen acht Uhr verlassen seine Frau Jutta und der zwölfjährige Matthias die Wohnung – sie geht ins Geschäft, er zur Schule. Etwas später muss der zehnjährige Christian los. Beat Strasser räumt Küche und Schlafzimmer auf. Er ist Vater und Hausmann. Und Inhaber des Berner Architekturbüros Strasser Architekten – gemeinsam mit seiner Frau. «Morgens übernehme ich meist den Haushalt, das hat sich bewährt, denn ich bin kein Morgenmensch, und so habe ich eine gewisse Anlaufzeit.» Um neun bricht Beat Strasser auf ins nahe Büro. Die Strassers arbeiten zu je 75 Prozent in ihrem Kleinunternehmen mit zehn Mitarbeitern. Ebenso gleichmässig teilen sie sich die Hausarbeit. Die Kinder bleiben über Mittag und an einem Nachmittag in der Tagesschule, sonst sind nach Schulschluss Vater oder Mutter zu Hause.

Das Handy einfach mal abschalten
Beat und Jutta Strasser sind eine grosse Ausnahme. Zwar ist das klassische Rollenmuster – Papi arbeitet voll, Mami ist ganz für die Kinder und den Haushalt da – abgelöst worden; heute ist die grosse Mehrheit der Schweizer Mütter berufstätig. Doch das Modell hat sich nur einseitig verändert: Papi arbeitet immer noch voll, Mami Teilzeit, für Kinder und Haushalt ist weiterhin sie zuständig. Dabei arbeiten immerhin 12 Prozent der erwerbstätigen Männer reduziert, wie eine im März publizierte Studie des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann festhält. Aber nur 8 Prozent dieser Teilzeiter tun es aus familiären Gründen. Beat Strasser fährt heute Morgen nach Laupen auf eine Baustelle: Dort wird eine Schule erweitert. Zielgerichtet schreitet der Mann mit dem freundlichen Gesicht durch die verkleideten Gänge und Schulzimmer, Baustaub knirscht unter seinen schwarzen Halbschuhen. Er verhandelt mit Elektrikern, Schreinern, klettert übers Gerüst zu den Dachdeckern. Kleinere und grössere Probleme sind zu lösen, Strasser ruft zuständige Handwerker an. Erreicht er jemanden nicht, lässt er ausrichten: «Er soll mich bitte zurückrufen, aber vor halb vier oder sonst morgen wieder.» Um halb vier ist für Christian die Schule aus, und heute ist sein Vater zuständig. «Die Kinder holen einen immer wieder zurück auf den Boden», sagt Beat Strasser, «das ist gerade in meinem Beruf gut, in dem man sich oft überidentifiziert.» Natürlich ist Beat Strassers Leben eine Gratwanderung zwischen dem Engagement im Geschäft und zu Hause. Manchmal kostet es Überwindung, das Handy einfach abzuschalten. Und rasch meldet sich das schlechte Gewissen: «Wenn eines der Kinder ein Problem hat, fragt man sich sofort, ob es an der Familiensituation liegt. Zum Glück merkt man meist, dass Kinder aus traditionellen Familien dieselben Probleme haben.» Eltern, die sich Beruf und Hausarbeit teilen, werden mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Ihr Organisationsaufwand ist bedeutend grösser: Wer macht wann was? Wie wird die Kinderbetreuung gewährleistet? Wenn ein Kind krank wird oder die Schule ausfällt, wenn der Waschplan starr ist, wirds kompliziert. In der Beziehung gibts mehr Reibungsflächen – etwa unterschiedliche Ansichten punkto Erziehung oder Haushaltführung. Beruflich müssen sie als Teilzeit arbeitendes Paar oft finanzielle Einbussen hinnehmen, weil die Frau weniger verdient, und sie haben schlechtere Aufstiegschancen.

2 Teilzeiter auf 270 Kaderleute
Die Geschäftsleitung der Strasser Architekten setzt sich am frühen Nachmittag zu einer längeren Sitzung zusammen: Jutta und Beat Strasser und Merle Rissiek, die dritte Kraft in der Führungscrew. Besprochen wird ein laufender Wettbewerb, die Einweihung eines abgeschlossenen Projekts und wer am Samstag wegen eines anderen Projekts ins Tessin fahren, wer zu Hause Kindergeburtstag feiern soll. «Sicher ist es ein Vorteil, dass wir das Jobsharing als Paar managen, aber es ginge auch sonst», sagt Beat Strasser. Teilzeitarbeit in Kaderstellen ist besonders selten. Nur rund 5 Prozent der Männer mit Vorgesetztenfunktion oder in Unternehmensleitungen arbeiteteten laut Studie 2001 Teilzeit. Fragt man direkt bei den Unternehmen nach, klingt es noch ernüchternder. Bei der Migros Genossenschaft Zürich sind auf 270 Kadermitarbeiter 2 Teilzeitmänner zu finden. Bei Ikea Schweiz sind es im mittleren und höheren Kader ebenfalls 2, immerhin auf 93. Bei Novartis Schweiz arbeiten insgesamt nur 2,3 Prozent der Männer mit reduzierten Pensen, im mittleren Management gibt es 4 Teilzeiter. Auch bei den SBB, wo insgesamt rund 6 Prozent der Männer Teilzeit arbeiten, praktizieren dies auf Kaderstufe nur Einzelne. Dabei begrüssen diese Unternehmen explizit die Teilzeitarbeit auf allen Hierarchiestufen. Sie legen etwa vertraglich fest, dass jeder und jede das Recht hat, Teilzeitarbeit zu beantragen. Sie haben Projekte laufen zur Förderung von Teilzeitarbeit auf Kaderstufe, sie bieten flexible Arbeitszeitmodelle, eigene Krippen; sie organisieren für ihre Mitarbeiter Familientage oder Seminare über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Familienarbeit ist weniger wert
Personalabteilungen, Wirtschaftsprofessoren und Studien preisen die Vorteile von Teilzeitarbeit und referieren über den allgegenwärtigen Begriff Work-Life-Balance: Menschen, die im Gleichgewicht zwischen Privatleben und Berufswelt leben, seien motivierter, effizienter, gesünder, glücklicher und erfahrener, weil ihr Horizont über ihre vier Bürowände hinausgehe. Die wenigen Paare mit Kindern, die ein partnerschaftliches Rollenmodell praktizieren, möchten trotz aller Schwierigkeiten nicht mehr tauschen. Die Väter erzählen von ihrer engeren, auch im Alltag funktionierenden Beziehung zu den Kindern – die ihnen auch bei einer Scheidung hilft, wenn es um die Festsetzung von Sorgerecht und Betreuungsmodellen geht. Sie sind froh, den Kindern ein anderes, modernes Männerbild zu vermitteln. Und sie haben begriffen, was Familienarbeit bedeutet, wie anstrengend sie sein kann. Die zum Job gewonnene Distanz erleben sie als fruchtbar. Warum also leben nach wie vor so wenige Väter diese Doppelrolle? «Das liegt an den noch immer vorherrschenden Wertvorstellungen», sagt Thomas Huber von der Fachstelle UND für Fragen rund um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wird eine Frau mit Kindern, die 70 Prozent arbeitet, bewundert – wie schaffst du das nur? – bekommt ein Mann, der dasselbe Pensum meistert, immer wieder zu hören: Was fängst du nur mit so viel Freizeit an? «Berufsarbeit ist mehr wert als Familienarbeit, und sie wird dem Mann zugeordnet. Eine Mutter, die Teilzeit arbeitet, wird demnach um ihr Pensum aufgewertet, ein Vater, der es tut, um die fehlenden Prozente abgewertet», sagt Thomas Huber. Die Männer haben zudem auch auf dem Spielplatz mit mangelnder Anerkennung zu kämpfen: Sobald das Töchterchen brüllt, hält man sie für unfähig.

Mutter ruft aus dem Geschäft an
Was die Personalabteilungen oder Unternehmensleitungen predigen, wird von der Basis und von den einzelnen Vorgesetzten zu wenig wahrgenommen oder nicht umgesetzt. Wer 100 Prozent und mehr arbeitet, kann sich schlicht nicht vorstellen, dass jemand, der «nur» Teilzeit arbeitet, eine qualifizierte, vielleicht gar ebenbürtige Position einnehmen kann. Die Angst vor der Infragestellung des eigenen Lebensmodells spielt mit oder der Neid, dass jemand anderer sich das Recht herausnimmt, es anders zu machen. Kurz vor vier kommt Christian Strasser von der Schule ins Geschäft seiner Eltern. Er legt den Schulthek ab, streicht einmal um den Bürostuhl seiner Mutter herum und holt sich danach mit deren Erlaubnis eine Glace aus dem Kühlschrank. Vater Strasser packt seine Mappe und verabschiedet sich von den Mitarbeiterinnen. Daheim tauscht er die Halbschuhe gegen Espadrilles. Der Sohn übt sich erst mal im Armbrustschiessen, während der Vater versucht, ihm Informationen über allfällige Hausaufgaben abzuringen. Später holt Strasser einen Korb voll sauberer Wäsche aus dem Keller und beginnt, sie auf dem dunklen Tisch im Entrée, dem Herzen der Wohnung, zu falten. Die Altbauwohnung der Strassers ist mit klassisch-einfachen Designermöbeln eingerichtet, nur die Kinderzimmer überborden wie überall. Es läutet, Matthias kommt heim. Er soll gleich noch Brot holen, möchte aber lieber ein blaues Kabel für die Modelleisenbahn kaufen gehen. «Nein, heute nicht mehr, du hast doch noch genug andere Farben, ich komme nachher schauen.» Auf dem Tisch wächst ein Berg dunkler Socken, daneben einer aus weissen Unterhosen. «Ich bin beileibe kein Liebhaber solcher Hausarbeiten, aber das Wäschefalten wirkt manchmal beruhigend», sagt der Vater, während Christian hinter ihm mit einem Ball hin und her hüpft. Grosse Wäschestücke räumt Beat Strasser sofort weg in Schränke, wo sie sich fein säuberlich stapeln. «Fragen Sie ihn, was er am liebsten macht!», ruft Matthias aus und verdreht die Augen. Sein Vater lächelt betroffen: «Ich bin ziemlich pingelig in Sachen Ordnung.» Wenn etwas von den Kindern ausserhalb ihrer Zimmer herumliegt, kommt es weg in eine rote Kiste. Wer von den Söhnen Ende der Woche weniger drin hat, erhält einen kleinen Preis. «Preis ist zu viel gesagt», kommentiert Matthias, «manchmal finden wir übrigens auch was von ihm.» Das Telefon klingelt, die Mutter ruft aus dem Geschäft an, sie will um sieben zu Hause sein, zum Abendessen. «Der Druck muss letztlich von den Männern kommen», sagt Thomas Beyeler, Projektkoordinator beim Eidgenössischen Gleichstellungsbüro in Bern. Väter müssen andere Arbeitszeitmodelle wollen und fordern. Und das tun sie noch kaum. Selten wird in den Unternehmen von Männern ein reduziertes Pensum beantragt, schon gar nicht in Anstellungsgesprächen. «Ein wichtiges Bestimmungsmerkmal männlicher Identität ist nach wie vor die Erwerbstätigkeit. Ein Mann, der Teilzeit arbeitet, ist für viele nur ein halber Mann», sagt der Zürcher Männerforscher Enrico Violi. Ein reduziertes Pensum für eine Weiterbildung oder wegen eines angesehenen Amtes wird akzeptiert, aber für die Familie? Zwar möchten in der Schweiz fast 300 000 der voll angestellten erwerbstätigen Männer lieber Teilzeit arbeiten. Zwar erfreuen sich an Männer gerichtete Veranstaltungen zum Thema Beruf und Familie zunehmender Beliebtheit. Zwar klagt ein Saal voller männlicher Manager in einem Seminar des Gottlieb- Duttweiler-Instituts absolut glaubwürdig, wie schwierig bis unmöglich es sei, in den Unternehmen eine Reduktion des Pensums schon nur zu verlangen. Aber der Weg vom Wunsch zur Umsetzung, vom guten Willen zum konkreten Versuch, scheint steinig zu sein. «Es passiert schon was, aber einfach sehr, sehr langsam, ich sehe es als ein Generationenprojekt», meint Thomas Beyeler vom Gleichstellungsbüro bescheiden. Beat Strasser ist seiner Zeit voraus. Er bindet sich die rote Küchenschürze um, deckt den Tisch fürs Abendessen, schreitet hin und her auf dem Küchenboden, der aus demselben schwarzen Linoleum ist wie der Boden im Geschäft. Später wird er den Kindern noch aus der «Roten Zora» vorlesen. Und, wenn sie im Bett sind, noch etwas arbeiten, vielleicht ein Buch lesen, wenn er nicht zu müde ist. Lohnt sich das alles? Der Stress, die Mehrfachbelastung, das Kopfschütteln der anderen? Wäre er, mal ganz ehrlich, nicht doch lieber nur der Ernährer, wenn sich seine Frau ganz gerne als reine Hausfrau und Mutter sähe? Nach längerem Überlegen antwortet er: «Ach, wissen Sie, diese Frage stellt sich gar nicht, denn wäre meine Frau nicht so, wie sie ist, wäre sie wohl kaum meine Frau.»

030911-TA-WennDerChef.pdf

 

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